top of page

Kundenrollen

Gruppe Seflie

Kunden als Akteure der Co-Creation im Service Ökosystem

Kundenrollen

Basierend auf der Rollentheorie lassen sich Gruppierungen der Kundentypen aus vielfältigen Einsatzfeldern und Rollenzuweisungen der Fachliteratur identifizieren.[1]

Integrative Kundenbeiträge beinhalten unterschiedliche Rollen, wie Corsten und Gössinger exemplarisch in Anspruchsformulierer, Ideenlieferanten, Bewerter, Ko-Entwickler, Tester anführen.[2]

Ähnlich beschreiben Russo-Spena und Mele die Kundenrollen in Anlehnung an Innovationsphasen durch Co-Ideation, Co-Evaluation, Co-Design, Co-Test und Co-Launch[3], die auch Agrawal und Rahman in Bezug auf den Co-Creation-Ansatz heranziehen.[4]

 

Zahlreiche namhafte Markenanbieter (wie BMW, Dell, Lego, P&G, Starbucks etc.) praktizieren den Co-Creation-Ansatz durch eigens gegründete Plattformen und beziehen die genannten Kundenrollen mit ein.[5] Die Heterogenität der Kunden und die Festlegung der Kundenaktivitäten sind durch verschiedene Rollen annähernd zu bestimmen, um eine wirkungsvolle Co-Creation zu gewähren.[6]

 

Für die vorliegenden Arbeit werden geeignete Kundenrollen aus wissenschaftlichen Quellen ermittelt und selektiv ausgewählt, die zum Einsatz bei unternehmerischen Entscheidungen in Unternehmen geeignet sind.

 

1. Kundenrolle Ko-Informant

Wissensressourcen sind als Kernansatz für die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen anerkannt. Dabei wird dem Bereich Kundenwissen (customer knowledge) höhere Beachtung gewidmet.[7] Durch die Bearbeitung des Kundenwissens sind Unternehmen im Vergleich zum Wettbewerb frühzeitig befähigt, Chancen aufstrebender Märkte zu erkennen und wirtschaftliche Erfolge zu generieren. Hieran schließt sich der strategische Prozess des „customer knowledge management“ (CKM) an, in dem Unternehmen ihre Kunden emanzipieren, aus passiven Empfängern von Produkten und Dienstleistungen zu Wissenspartnern zu werden. Unter CKM geht es um das Gewinnen, Teilen und Erweitern des vorhandenen Wissens der Kunden.[8] Auf den ersten Blick scheint CKM nur eine andere Bezeichnung für das „Customer Relationship Management“ (CRM) oder das „Knowledge Management“ (KM) zu sein. Jedoch benötigen CKM-Manager eine andere Denkweise. Sie konzentrieren sich in erster Linie auf das Wissen „der“ Kunden statt sich mit dem Wissen „über“ Kunden zu befassen, welches als Merkmal des „Customer Relationship Management“ (CRM) gilt. Mit anderen Worten, einige Unternehmen erkennen, dass über Kunden relevantes Wissen existiert und dieses durch direkte Interaktion mit ihren Kunden akquiriert werden kann. Sie sehen ein, dass Wissen nicht ausschließlich über internes Personal, welches als Wissensarchiv über ihre Kunden agiert, gewonnen werden kann. Der wichtigste Ansprechpartner im Wertschöpfungsprozess der Unternehmen ist daher der Kunde.[9]

 

Hierzu tragen Ko-Informanten mit ihrem Wissen bei. Der Wettbewerb verlangt von Unternehmen eine kontinuierliche Erneuerung und Speicherung der Wissensbestände, welche als explizites Wissen zugeordnet sind. Daneben stellt sich jedoch die Erneuerung des impliziten Wissens als maßgeblich heraus. Die Herausforderung darin wird in der Bereitschaft der Kunden gesehen, ihr Wissen zu teilen.[10] Diesbezüglich eignet sich eine Klassifizierung der operanten Ressourcen in Bedürfnis- und Lösungsinformationen.[11] Unter Bedürfnisinformationen werden sämtliche Wissensaspekte zu den Vorlieben und Bedürfnissen der Kunden assoziiert. Der frühzeitige Einsatz der Bedürfnisinformationen zu Beginn der Innovationsprozesse führt tendenziell zu geringeren Misserfolgen bei der Produkteinführung. Er steigert die Effektivität der Marketingmaßnahmen und erzielt bessere Planungsergebnisse.[12] Insbesondere finanzielle Bedürfnisinformationen beinhalten unbeständige, implizite und heterogene Aspekte.[13] Dagegen beinhalten Lösungsinformationen Wissenselemente zur konkreten Lösung bestehender Probleme / Bedürfnisse.[14] Bedürfnis- und Lösungsinformationen dienen als relevante Inputfaktoren im Leistungserstellungsverfahren. Ihr Umfang bestimmt das Ausmaß an vielfältigen Kombinationsmöglichkeiten, um neues Wissen zu generieren.[15] Hierzu sind die Bedürfnis- und Lösungsinformationen in einem geeigneten Maß zu verknüpfen.[16] Während explizites Wissen zur Strukturierung, Übertragung und Dokumentation angewendet wird, beinhaltet implizites (tacit knowledge) Wissen oftmals unbewusstes Wissen, dessen Darstellung und Dokumentation schwer fällt.[17]

 

Der Erfolg der Innovationsmaßnahmen hängt jedoch wesentlich von der Einbeziehung der Bedürfnisinformationen ab, die spürbar zur Reduktion der Marktrisiken beitragen.[18] In konventionellen Verfahren streben Anbieter über diverse Praktiken der Marktforschung die Ermittlung der Bedürfnisinformationen am Markt an, um unter Einsatz interner Lösungsinformationen ein geeignetes neues Produkt zu entwickeln.[19] Kunden werden als Quelle der Bedürfnisinformationen, Unternehmen als Quelle der Lösungsinformation betrachtet.[20]

 

Mit diesen konventionellen Verfahren der Marktforschung (bspw. direkte Befragung) ist es jedoch nur eingeschränkt möglich, die Ansprüche des Markts für zukünftige Produkte auszurichten.[21] Anbieterunternehmen beschäftigen sich in hohem Ausmaß mit Lösungsinformation, in der interne Fachexperten auf bereits gesammeltes Wissen zurückgreifen und mit bestehenden Prozessen und Systemen zur Lösungsfindung beitragen. Für den Bereich der inkrementellen Innovationen hat sich dieses Vorgehen bewährt. Für völlig neue Innovationen wird jedoch das Hinzuziehen externer Wissensquellen als erforderlich erachtet, um eine möglichst breite Perspektive zu gewinnen und neue Kombinationsmöglichkeiten der Ressourcen zu kreieren.[22] Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird es neben dem Management von explizitem Wissen und anbieterseitigen Lösungsinformationen vor allem auf die Erlangung von implizitem Wissen sowie Bedürfnisinformationen seitens des Ko-Informanten ankommen.

 

2. Kundenrolle Ko-Ideengeber

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist die Rolle des Innovation Ko-Ideengebers unter einer ausgeprägten Offenheit in der Themenfindung einzuordnen. Der Open-Innovation-Ansatz bezieht ausdrücklich Kunden als externe Akteure in die Ideengenerierung mit ein.[23] Diese wird dem Aufgabengebiet des Ko-Ideengebers zugeordnet. Sie ist auf das Outside-in-Verfahren angesetzt, um Innovationsaktivitäten mithilfe externer Akteure in Unternehmen zu forcieren.[24] Die Generierung von Ideen vollzieht sich zu Beginn einer Innovation. Um direkte, externe Beiträge zu erhalten, öffnen Unternehmen den Zugang in der Phase der Ideen­­generierung für externe Kundennetzwerke, die sich aktiv an der Ideenfindung und ‑gestaltung beteiligen. Unternehmen richten eigens hierfür gegründete Online-Plattformen als Interaktionskanal für Kunden ein, um deren Ideen und Erkenntnisse aufzugreifen und zu bewerten.[25] Durch die Involvierung externer Ideen aus Kundensicht sollte der Blickwinkel vermehrt auf die tatsächlich vorliegenden Kundenprobleme ausgerichtet werden. Die vielfältigen Lebensstile mit ihren heterogenen Interessen, Identitätsmerkmalen und Subkulturen sollen darunter angesprochen werden. Hierfür werden im Sinne der vorliegenden Arbeit Ko-Ideengeber angesetzt. Die S-D-Logik positioniert die Kunden als wichtige Akteure in Unternehmensnetzwerken. So sind Firmen angehalten, mit ihnen zusammenzuarbeiten, um Werte zu generieren. Kunden werden zur wertvollen Informations-, Wissens- und Ideenquelle für Unternehmen.[26] Eine Zusammenarbeit mit Kunden bietet für Kreditinstitute durch eine ausgeprägte Ideengenerierung sowie durch die Erweiterung der Wissensressourcen zahlreiche Vorteile.[27]

 

Bestehende Studien verdeutlichen das erhebliche Potenzial für Innovationsprozesse. Ideen, die von Verbrauchern generiert werden, erzielen bezüglich des Neuheitsgrads und des Kundennutzens mehr Erfolge als Ideen innerbetrieblicher Experten.[28] Eine hohe Diversität von Wissen und Fähigkeiten führt zu multiplem Ideenreichtum sowie zu innovativen Lösungen.[29] Diese werden besonders im Wissensrepertoire der Beteiligten in Form von sozialen Interaktionen sowie erfahrungsbasiertem Lernen beobachtet.[30] Die soziale Dimension wird als vorteilhaft für die Ideenfindung[31] herausgestellt und auch in aktuellen Studien als wesentlicher Beitrag anerkannt.[32] Ergebnisse bei Ideenwettbewerben zeigen, dass Teilnehmer nach sozialem Feedback suchen, das an andere Gruppenmitglieder, Wettbewerber, Meinungsfremde oder spezifische Berater gerichtet ist.[33] Die Kundenbeteiligung ist daher auf weitergehende Aspekte wie die Ideengenerierung auszudehnen.[34] Hierzu ist die Kundenbeteiligung in frühen Innovationsphasen anzusetzen, um einen möglichst offenen Lösungsraum zu gewähren.[35] Die Rolle der Technologie, insbesondere die Revolution der sozialen Netzwerke, hat Unternehmen dabei geholfen, die Interaktion zwischen Kunden und Unternehmen zu intensivieren.[36]

 

3. Kundenrolle Ko-Produzent

Der Kunde als Ko-Produzent ist an der Gestaltung, Entwicklung und Bereitstellung der Werteversprechen (inkl. der Angebote) beteiligt. Weitere Rollen, wie Co-Distributoren, Co-Promotoren, Co-Experience Creatoren, können hierbei miteinfließen.[37] In der Leistungserstellung gelten Ko-Produzenten oftmals als unabdingbarer externer Faktor. So ist bspw. in einem Beratungsgespräch eine Leistung ohne die Informationen des Kunden nicht möglich.[38] Demzufolge agieren Kunden stets als externe Faktoren. Im weiteren Sinne trägt der Ko-Produzent darüber hinaus noch wesentliche Ressourcen zur Wertschöpfung hinzu.[39] Als Ko-Produzenten im Leistungserstellungsprozess des Unternehmens sind Kunden als Ressourcenakteure im Produktionsprozess eingebunden.[40] Da das Dienstleistungsunternehmen die Kunden zunehmend in das Co-Design (wird als eigenständige Kundenrolle aufgeführt) und die Ko-Produktion von Lösungen einbezieht, steigt parallel die Fähigkeit der Kunden, die zu erzeugenden Werte zu beeinflussen, was wiederum die Zufriedenheit erhöht.[41]

 

Kunden nehmen, neben der Rolle des Nachfragers, zusehends die Funktion des Ko-Produzenten ein und partizipieren am Leistungserstellungsprozess.[42] Unternehmen sollten daher Plattformen bieten, um Kunden im Austausch ihrer Erfahrungen und Interaktionen zu fördern.[43] Ko-Produktion ist ein Teilgebiet des Co-Creation-Ansatzes (gemeinsame Wertschöpfung), die sich auf die Prozesse der Kundenaktivitäten bezieht.[44] Sie kann durch Ideen, Co-Design sowie durch Beteiligung an gemeinsamen Produktionsprozessen ausgeübt werden.[45] Während die Co-Creation-Perspektive den Konsum – und Erfahrungsaspekt (usage) – beleuchtet, setzt die Ko-Produktion bereits davor in der Produktionsphase ein.[46] Mehrere Marketingwissenschaftler weisen darauf hin, dass der Begriff Ko-Produktion einen starken Bezug zur Güterproduktion aufweist. Daraufhin wurde der Begriff modifiziert. Dennoch ist es wichtig, zu betonen, dass es zwei Komponenten der Wertschöpfung gibt. Das Umfassende ist jedoch die gemeinsame Wertschöpfung (co-creation).[47]

 

Der ständige Anstieg der Informationstechnologie mit der damit verbundenen Abnahme der Kommunikation- und Rechenkosten bietet Firmen Möglichkeiten zur Steigerung ihrer Wettbewerbsvorteile durch innovative Zusammenarbeit sämtlicher Akteure. Dies impliziert jedoch, dass Werte gemeinsam erzeugt werden und der Fokus auf die Beziehungsbildung sowie auf das Verbraucherverhalten gerichtet werden muss.[48] Durch die sehr breite Auslegung des Rollenfeldes der Ko-Produzenten sind jegliche Kundenbeiträge zur gemeinsamen Wertschöpfung mit dem Anbieter oder mit den Kundennetzwerk betroffen. Sie sind jedoch im Sinne dieser Arbeit ausschließlich im Gestaltungbereich Innovationen angesetzt, da eine Produktion ohne innovative Eigenschaften nicht als zielführend erachtet wird.

4. Kundenrolle Ko-Designer

Kunden als Ko-Designer sind Teil eines Prozesses, der durch die Integration des Produktwissens zur Realisierung der Produktverbesserungen eingesetzt wird.[49] Die Kundenbeteiligung kann daher in Form des Ko-Designs umgesetzt werden.[50] Alam und Perry stellen fest, dass unter Finanzdienstleistungen die Serviceentwicklungsprozesse in Form des Produktdesigns aus Kundensicht einen hohen Zuspruch erfahren.[51] Hierbei werden das Wissen und die Erfahrungen des Kunden zur Optimierung des Leistungsangebots einbezogen.[52] Ko-Design wird meist als die Anpassung von Produkten oder Dienstleistungen mithilfe der Kunden bezeichnet.[53] Kunden tragen durch die Vermittlung ihrer Bedürfnisse, Präferenzen, Ziele und Vorstellungen zu einer besseren Leistungserstellung bei. Diese müssen aus Sicht der Kunden möglichst konkret erkannt, kommuniziert und konfiguriert werden.[54] Kunden können umfassende Informationen zu relevanten Leistungsanforderungen bereitstellen und in der Leistungserstellung beratend für geeignete Problemlösungen beitragen. Sehr oft verfügen Kunden über Wissen, was beispielsweise in der Entwicklung und bei Verbesserungsvorschlägen hilfreich eingesetzt werden kann.[55]

 

Bendapudi und Leone schlagen vor, dass Dienstleister Kunden dazu ermutigen könnten, ihre Bedürfnisse konkreter und präziser zu definieren.[56] Kooperierende Kunden können als Mitentwickler fungieren, die ihr Wissen zur Verbesserung der Abläufe bereitstellen.[57] Um Kunden als Experten ihres eigenen Wissens und ihrer Erfahrung in Designprozesse einzubeziehen, agieren die Anbieter in der Funktion des Moderators und stellen Tools, Dokumente und weitere Unterstützung, wie Software und Multimedia, zur Verfügung. Durch anbieterbasierte Plattformen können weitere Internetfunktionen, wie Wikis, Blogs, Aggregatoren und Foren, ergänzt werden, mit denen die Teilnehmer Kommentare und Materialien austauschen und ihre Erfahrungen und Kenntnisse an andere weitergeben können. In vielen Fällen eröffnet diese Praxis allen Teilnehmern den Dokumentations- und Experimentierprozess und ermutigt sie, über die Praktiken nachzudenken und neue Ideen einzubringen. In anderen Fällen kann diese kollaborative Umgebung die Kreativität und das Lernen auf informelle und frei denkende Weise fördern.[58] Sie sind im Sinne dieser Arbeit ausschließlich im Gestaltungbereich Innovationen angesetzt, da Designprozesse ohne innovative Eigenschaften nicht als zielführend erachtet werden.

 

5. Kundenrolle Ko-Tester

Test-Aktivitäten stehen in engem Zusammenhang mit der Markteinführung von Produkten und Dienstleistungen. Während zahlreiche Publikationen die Rolle des Ko-Testers auf die produktbasierten Leistungen beziehen, liegt der Brennpunkt von Marken-Ko-Testern auf den Identitätsfaktoren, die im Rahmen der Markenbedeutung und Markenpersönlichkeit assoziiert werden. Diesbezüglich sind Marken-Ko-Tester gewillt, ihr Selbstkonzept hinsichtlich ihrer Identität und Verbundenheit mit einer Marke und den ihr folgenden Markenanhängern (gleichgesinnte Kunden) im sozialen und kulturellen Umfeld zu verwirklichen. Kunden als Ko-Tester sind an der Erprobung neuer Angebote beteiligt, die in naher Zukunft auf den Märkten eingeführt werden sollen. Feedbacks zu Angeboten können Unternehmen helfen, die Funktionen und Attribute des Marktangebots weiter zu verbessern. Die Einbeziehung von Kunden als Ko-Tester kann die Chancen für den Produkterfolg erhöhen. Selbst wenn ein Produkt bereits am Markt eingeführt wurde, suchen Unternehmen nach Nutzern, die ihren Bedarf an ein bestimmtes Angebot identifizieren können.[59]

 

Alam und Perry stellen fest, dass Kundenbeiträge in allen Phasen des neuen Serviceentwicklungsprozesses für Finanzdienstleistungen offensichtlich sind, und die Produkt- und Pilottests zu den beliebtesten Kundenaktivitäten zählen.[60] Forscher und Praktiker sind zunehmend bemüht, Verständnis für das wertvolle Wissen der Verbraucher zu erlangen und in unternehmerische Innovationsprozesse einzuführen. Anbieter, die Verbrauchern die Teilnahme an der Entwicklung neuer Produkte ermöglichen, können einen Wettbewerbsvorteil gegenüber traditionellen Unternehmen erlangen, die ihren Nutzern keine Befugnisse gewähren.[61]

 

Einsatzfelder der Kundenbeteiligung können neben den Innovationsphasen der Produktideen, Produktentwicklung / Produktdesign[62] außerdem unter Produkttests sowie unterstützenden Services als innovationsfördernd angesehen werden.[63] Es ist anzumerken, dass durch die frühzeitige Einbindung des Kunden in Innovationverfahren die darauf folgenden Produkt- und Markttests mit geringeren Prognoseabweichungen einhergehen als durch rein intern konzipierte Prototypen, deren Marktakzeptanz erst noch ermittelt werden muss.[64] Ein weiteres Argument für Unternehmen, benutzergenerierte Innovationen als Grundlage für kommerzielle Produkte zu verwenden, ergibt sich aus der Tatsache, dass das Testen der Produktprototypen durch eigene Mitarbeiter sehr kostspielig ist. Benutzer tragen diese anfänglichen Kosten aus Eigeninitiative. Unternehmen können ihre Erfolgsquote erhöhen, indem sie sich auf Produktkonzepte konzentrieren, die die Verbraucher bereits als Prototypen entwickelt haben und die zum Teil bereits auf dem Markt getestet wurden.[65]

 

Durch die Verschmelzung von Markttests und Markteinführung entstehen Effizienzvorteile. Die Markteinführungsphase kann eingehend zur Co-Creation genutzt werden. Kunden übernehmen die Bewertung („Gefällt-mir“-Buttons) durch so genannte „Live-Tests“ und eignen sich weitere Aufgaben an, um die neuen Leistungen anderen Kunden zu erklären bzw. in Sozialen Medien vorzustellen. Dies führt zu weiteren Effizienzvorteilen, da die Marketingmaßnahmen überwiegend durch die Community übernommen und insofern auf klassische Marketingmaßnahmen verzichtet werden.[66] Test-Aktivitäten stehen in engem Zusammenhang mit der Markteinführung der Produkte und Dienstleistungen. Sie werden verwendet, um die Verbesserung der Prototypprodukte und -dienstleistungen vor deren Vermarktung zu unterstützen und die Marktfähigkeit zu testen. Eine inhärente Herausforderung für Unternehmen, die Co-Test- und Co-Launch-Aktivitäten durchführen, besteht darin, Content-Informationen zu managen und eine hohe Resonanz herzustellen, um die anfängliche Zurückhaltung gegen unbekannte und vorläufige Produkte / Dienstleistungen zu überwinden und die Benutzer/ Kunden dazu zu bewegen, sie auszuprobieren.[67]

 

Test-Aktivitäten stehen in engem Zusammenhang mit der Testung und Markteinführung von Produkten und Dienstleistungen. Der Blickwinkel von Marketing-Ko-Testern ist auf die Entwicklung neuer marketingbasierter Zugänge, Formate und Kanäle ausgerichtet. Klassische Marketinginstrumente verfolgen einen transaktionsbasierten Blickwinkel, im Sinne einer Inside-out-Perspektive. Sie entspricht immer weniger den individuellen Kundenerwartungen und zeigt in vielen Bereichen Widerstände aus der Konsumentenseite auf. Neue Ansätze richten sich auf das CRM-Marketing und gehen auf die Beziehungsphasen der Kunden ein. Hierbei erhält die Outside-in-Perspektive zunehmende Bedeutung.[68]

 

Online-Platt­formen ermöglichen es den Kunden, Markenmeinungen und Markenerfahrungen miteinander in (un-)gefilterten Foren auszutauschen.[69] Über die traditionelle Mundpropaganda hinaus haben sie neuerdings Zugriff auf eine Vielzahl von User-generated-content-Plattformen, wie Blogs und Microblogs, Websites, soziale Netzwerke, Wikis oder Video-Sharing.[70] Des Weiteren wird zunehmend ein hoher Einfluss von Kunden aus netzwerk- und interaktionsbasierten Marketinginstrumenten festgestellt (bspw. Social Media-, Influencer-, Content-, Lifestyle-Marketing etc. (Kapitel 3.3.2). Marketing-Ko-Testern obliegt die Aufgabe, neue Formate zum Zwecke marketingbasierter Interaktionen zu testen. Die ermittelten Kriterien der Co-Creation (Kapitel 3.5) lassen sich in das Co-Creation-Modell überführen.

 

6. Kundenrolle Ko-Erfahrungsvermittler

Zunehmend informierte, vernetzte und proaktive Kunden fordern Unternehmen dazu auf, sich von ihrer traditionellen Denkweise der Produktion als Ort der Wertschöpfung zu lösen. Interaktion hat sich als Ort des Austauschs und der Erfahrung herausgebildet, die in gemeinsam erzeugten Werten (Co-Creation) einhergehen.[71] Die dauerhafte Flut an Massenwerbung hat in den Köpfen der Kunden dazu geführt, dass die Werbebotschaften schlicht an Bedeutung und Wirkung verlieren. Es sind die Kunden, die zunehmend als Selbstvermarkter an Einfluss gewinnen, indem sie ihre Erfahrungen schildern. Das Aufkommen von Social Media hat es Kunden ermöglicht, ihre Erfahrungen auszutauschen.[72] Durch Ko-Erfahrungsvermittler sollen die eigenen Eindrücke und Erfahrungen des Kunden erkannt, konkret beschrieben und über sämtliche Kundennetzwerke verbreitet werden. Die daraus wachsenden Online-Interaktionen ermöglichen es Verbrauchern, Marktangebote zu bewerten und fundiertere Entscheidungen zu treffen.[73] Die S-D-Logik besteht darauf, dass es nicht die materiellen Güter sind, die einen Mehrwert für Kunden erzeugen. Es handelt sich vielmehr um die vom Produkt erbrachten Nutzen (Service), die als „value in use“ bezeichnet werden.[74] Vargo und Lusch beschreiben den Wertebegriff in Form kollaborativer Prozesse unter Partnern als Erfahrungswerte (value in use), um den Kunden als externen Nutzenempfänger in die Bewertung der Leistungen einzubeziehen.[75] Der „Value in use“ liegt im eigentlichen Sinne im Konsum von Erfahrungen.[76]

 

Unternehmen können mit Kunden auf dem Gebiet des Konsums zusammenarbeiten, indem sie reichhaltige Erfahrungen für Kunden generieren und im Gegenzug davon profitieren, Zugang zu ihren verborgenen Wahrnehmungen und Vorlieben zu erhalten.[77] Gemeinsam erzeugte Erfahrungen werden für die Wertebildung als essenzieller Faktor gesehen. Aus dieser Sicht sind Werte durch Interaktionen zwischen Anbietern und Kunden zu erzeugen, die aus einer positiven Erfahrung, aus einem spezifischen Moment oder spezifischen Kundenkontakt herrühren.[78] Hierzu tragen Ko-Erfahrungsvermittler durch ihre Verbreitung der Erfahrungen bei. Sie vermitteln Kundenerfahrungen, die in Anlehnung an Meyer und Schwager als innewohnende, subjektive Kundenreaktionen aus direkten oder indirekten Kontakten mit einem Unternehmen resultieren.[79] Zahlreiche Hersteller haben inzwischen Kundenerfahrungen in ihr Marketing implementiert (bspw. LEGO, Volkswagen, Case Construction, Heineken, Apple etc.) und auch Dienstleister verbinden mit ihren Angeboten diesbezüglich zunehmend ein Marketingerlebnis.[80]

 

Während die so genannte „experience economy“ in erster Linie auf Erlebniserfahrungen basiert, sollten allgemeine Erfahrungen keineswegs ausgeschlossen werden und demzufolge eine breite Vielfalt an Erfahrungen ermöglichen. Es sollten alle Arten von Erfahrungen einbezogen werden, von allgemeinen Erfahrungen bis hin zu Erlebnissen – und darüber hinaus.[81] Der Ko-Erfahrungsvermittler soll nach Ansicht des Verfassers der vorliegenden Arbeit Erfahrungen bilden, formulieren und teilen können, die aus Interaktionen diverser sozialer Netzwerke und multipler Unternehmensnetzwerke in Bezug zum Leistungsanbieter herrühren.[82] Es wird die soziale Dimension des Kundenerlebnisses und die Rolle der Kunden-zu-Kunden-Interaktionen (many-to-many) hervorgehoben. Die Einstellungen und Verhaltensweisen anderer Kunden haben wachsenden Einfluss auf die eigene Kundenerfahrung.[83] Diese Art der Co-Creation wird sowohl in der physischen Welt als auch auf Online-Plattformen, wie virtuellen Communities, festgestellt, die gleichgesinnte Verbraucher zusammenbringen und die Bildung der Beziehungen zu gemeinsamen Interessen ermöglichen. Die Rollen der Online-Konsumenten- und Markengemeinschaften beeinflussen die Erfahrung anderer Kunden.[84]

 

Kunden scheinen im bspw. Privatkundengeschäft von Banken ein Ziel der Marketingaktivitäten zu sein, die kaum die Kundenerfahrung als Grundlage sehen. Es spricht dafür, dass Bankdienstleistungen zu oft als Lieferungsprozess eingeordnet werden, ohne ausreichendes Verständnis der damit verbundenen Kundenaktivitäten im täglichen Leben der Kunden (Wertschöpfung der Kunden) zu entwickeln.[85]

 

Unter dem steigendem Wettbewerbsdruck und anwachsenden Kundenansprüchen im Privatkundengeschäft der Banken[86] wird das Verständnis der Kundenerfahrungswerte aus Bankbeziehungen immer wichtiger.[87] Es wird in der Bankbeziehung auf Wertfaktoren ankommen, die im eigenen Lebenskontext des Kunden, außerhalb der Sichtbarkeitslinie des Anbieters, stattfinden. Der Wertebezug der Finanzdienstleistungen wird demzufolge auf die Domäne des Kunden ausgedehnt. Die kollektive Diskussion über Erfahrungen der Privatkunden mit ihren Banken haben zugenommen, da immer mehr Kunden ihre Bankerfahrungen in Online-Communities diskutieren, die häufig auf gemeinsamen Interessen beruhen.[88] Ko-Erfahrungsvermittler liefern hierzu nach Ansicht des Verfassers wertvolle Beiträge. Durch die Beobachtung der Online-Diskussionen der Bankkunden können Marketingforscher Kunden in ihrem eigenen Kontext besser erkennen und so ein tieferes Verständnis für die Ansichten der Kunden über ihre Bankbeziehungen gewinnen.[89] Leistungserstellungsprozesse sind nach offenen Prinzipien der Organisationssysteme auszurichten.[90] Forschungsarbeiten belegen hierzu die enge Verknüpfung des S-D-Logik-Ansatzes mit Open-Innovation-Verfahren.[91]

 

7. Kundenrolle Ko-Multiplikator

Kunden als Ko-Multiplikatoren (auch als Ko-Promotoren bezeichnet) können die Effektivität und Effizienz der Marketingprogramme erheblich steigern und so die Schaffung langfristiger Beziehungswerte ermöglichen.[92] In diesem Zusammenhang kann auch die Rolle des Co-Marketers einhergehen.[93] Das Internet hat die Art und Weise der Informationssuche, der Interaktion und des Einkaufsverhaltens maßgeblich verändert. Folglich hat das traditionelle Mundpropaganda-Verhalten eine digitale Dimension bekommen. Wendeten sich Verbraucher früher bei der Informationssuche an anbieterseitige Quellen und ließen sich auf Gespräche mit Freunden und / oder Verwandten ein, so sind heutzutage diese Aktivitäten in der online-basierten Mundpropaganda als bevorzugtes Kommunikationsmittel zu beobachten.[94]

 

Die zunehmende Nutzung der Online-Kommunikation durch die Verbraucher spiegelt sich in ihrem Mundpropaganda-Verhalten wider.[95] Hennig-Thurau et al. beschreiben die online-basierte Mundpropaganda (electronic word of mouth) als positive oder negative Aussagen potenzieller oder bestehender Kunden über ein Produkt oder ein Unternehmen, die einer Vielzahl von Menschen und Institutionen über das Internet zur Verfügung gestellt werden.[96] Die online-basierte Mundpropaganda umfasst meistens die schriftliche Kommunikation (während die offline-basierte Mundpropaganda meistens verbal ausgeübt wird) und kann in one-to-one-, one-to-many- oder many-to-many-Formen auftreten (offline tritt sie meist in der one-to-one-Form auf).[97] Die online-basierte Mundpropaganda kann über Bewertungsportale (z. B. TripAdvisor), (Mikro-) Blogging-Plattformen (z. B. Twitter), Video-Sharing-Seiten (z. B. YouTube) und Social-Networking-Seiten (z. B. Facebook) erfolgen.[98] Die angeführten Aspekte zählen im Sinne dieser Arbeit zum Aufgabenfeld der Ko-Multiplikatoren.

 

In den letzten Jahren hat die online-basierte Mundpropaganda (electronic word of mouth) von Wissenschaftlern erhebliche Aufmerksamkeit erhalten.[99] Die Bedeutung des auf Mundpropaganda basierten Informationsaustauschs und der Empfehlungen ist im Marketing ausgiebig etabliert.[100] So gehen vielfältige Untersuchungen auf die Merkmale und Auswirkungen der Mundpropaganda ein, wie im Bereich sozialer Netzwerke[101], Quelleneigenschaften[102], gesponserte Inhalte[103], Glaubwürdigkeit[104], Identitätskonzepte[105], Markenbindung[106] oder Absatzsteigerung[107], um nur einige zu nennen. Darunter können häufig genannte Quellenmerkmale aus der Forschung angeführt werden, die durch Fachwissen, Vertrauenswürdigkeit, Affinität und Meinungsführerschaft beschrieben werden und hohen Einfluss auf die positive Mundpropaganda implizieren.[108] Es gibt zahlreiche Hinweise dafür, wie die online-basierte Mundpropaganda Vorteile für Unternehmen bietet und ein wirksames Marketinginstrument darstellt, um auf dem Markt bestehen zu können.[109] Ko-Multiplikatoren nehmen im Rahmen der vorliegenden Arbeit eine bedeutende Funktion ein. Sie können im Zusammenhang der Gestaltungsbereiche Marke, Marketing und Innovation stehen. Die Aktivität an sich wird jedoch grundsätzlich dem Marketing zugesprochen.

 

8. Kundenrolle Ko-Bewerter

Die im Rahmen des Mitentscheidungsprozesses eingereichten Ideen können einer Bewertung unterzogen werden, um ihr Wertpotenzial zu beurteilen.[110] Kunden als Bewerter agieren gerne als Teil des Bewertungsprozesses und bewirken eine unabhängige Verbreitung sowie wirkungsvolle Mundpropaganda. Kunden können somit zu Markenbotschaftern des Unternehmens werden, während sie die Idee in ihren sozialen Kreisen verbreiten und ihre Freunde und Familienmitglieder auffordern, sich dem Bewertungsprozess zugunsten einer bestimmten Idee anzuschließen.[111] In der Ideenbewertung versuchen Unternehmen, Kunden in die Bewertung der Vorschläge einzubeziehen. Darunter spielen Community-Netzwerke und Blogformate eine entscheidende Rolle, damit die Kunden Ideen kommentieren und bewerten können. Soziale Netzwerke, wie Facebook, werden verwendet, um Bewertungen durch einfache Mechanismen zu fördern. Die Praktiken der Bewertung bestehen vordergründig aus der Kommentierung und Abstimmung. Unternehmen können die Teilnahme durch bestimmte Anreize (z. B. Geld, Preise und kostenlose Produkte) befördern.[112]

 

Neben der Bewertung der Ideen können auch grundsätzliche Erfahrungen bewertet werden. So gesehen können anbieterseitige Beiträge oder kundenseitige Beiträge von Ko-Informanten, Ko-Ideengebern, Ko-Designern, Ko-Testern, Ko-Produzenten, Ko-Erfahrungs­ver­­mitt­l­ern, Ko-Multiplikatoren für Bewertungen zur Verfügung stehen. Bewertungen stehen unabdingbar im Zusammenhang mit der Mundpropaganda, insbesondere hat die online-basierte Mundpropaganda über Bewertungsportale einen hohen Einfluss mit ihrer Reichweite.[113] Auf Online-Bewertungsseiten können Verbraucher verschiedene Arten der Interaktionen durchführen, z. B. die Bewertung von Produkten oder Marken und das Teilen von Kommentaren.[114] Öffentliche Online-Umgebungen, wie Online-Bewertungsseiten, bieten Verbrauchern nicht nur eine Plattform, auf der sie ihre Meinungen und Erfahrungen artikulieren können, sondern auch einen Ort, an dem sie verschiedene Interaktionen mit anderen Verbrauchern durchführen können.[115]

 

bottom of page