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Co-Creation Innovation

Gestaltungsbereich Innovation

Innovationen im Dienstleistungssegment gelten im Vergleich zu materiellen Gütern tendenziell als einzigartig und sie sind an bestimmte Routinen / Aktivitäten gebunden. Besonderes Augenmerk wird bei Dienstleistungsinnovationen den Co-Creation-Aktivitäten zugeschrieben, die den Erfolg der Produkt- und Marktentwicklungen positiv beeinflussen.[1] Im Innovationsbereich gelten Co-Creation-Aktivitäten mit Kunden als grundlegender Bestandteil des modernen Marketings, das als kollektiver Erfindergeist verstanden wird.[2] Frühe Forschungsströmungen konzentrierten sich auf den einzelnen Kunden als Innovator[3] und verlagerten sich dann auf die Erforschung bestimmter Kundengruppen in Form von Communities als System von Gleichgesinnten[4] oder von innovationsbasierten Crowdsourcing Netzwerken.[5] Die aktive Rolle des Kunden als Kernelement der Co-Creation bei Innovationsaktivitäten ist wissenschaftlich anerkannt. Hippel geht auf die Rolle der besonders ausgeprägt involvierten Nutzer („lead user“) ein, die durch die gemeinsam gebildeten (Co-Creation) Aktivitäten und ihre Möglichkeiten die Anforderungen des breiten Marktes in signifikanter Weise antizipieren.[6] Weitere Forscher betonen Aspekte des Co-Designs[7], um die Integration der Kundenbedürfnisse und das Wissen als neue Grundlage in kollektiven Design-Verfahren anzusetzen.[8] Hierbei wird der zunehmend hohe Einfluss großer Kundengruppen ersichtlich, um Innovationen zu fördern und ihre Kreativität zu entfalten.[9] In der heutigen globalen Wirtschaft agieren Organisationen kaum noch ausschließlich auf lokalem Gebiet. Für das neue Ökosystem des globalen Wirtschaftens, in dem Einzelpersonen, Organisationen, Regierungen und Volkswirtschaften vernetzt und voneinander abhängig sind, ist ein neues Innovationsmodell gefordert. Dieses Modell sollte auf Plattformen basieren, auf der interne, externe, kollaborative und ko-kreative Ideen zusammengeführt werden können, um organisatorischen und gemeinsamen Wert zu schaffen. Hierbei kommt im Sinne des Co-Innovation-Ansatzes[10] der Kundentypus des Co-Innovators in Betracht.

 

Kategorisierung von Innovationen

Die Service-Perspektive konzeptualisiert Innovation als einen Prozess der gemeinsamen Wertschöpfung mit Kunden (value co-creation) und anderen Partnern auf der Grundlage eines integrierten Netzwerkansatzes.[11] Aus dieser Sicht ist Innovation ein Prozess, bei dem neue Wege zur gemeinsamen Wertschöpfung durch eine effektivere Beteiligung von Ressourcen gewählt werden.[12] Die gemeinsame Erzeugung der Innovationen erfolgt nicht nur in dyadischen Beziehungen zwischen Anbietern und Kunden, sondern bezieht auch mehrere Teilnehmer als dynamische, operative Ressourcen in einer „many-to-many“-Perspektive ein.[13]

 

Erfolgreiche Innovationen beruhen darauf, zuerst die Kundenbedürfnisse zu identifizieren und darauffolgend, jene Produkte zu entwickeln, die diesen Bedürfnissen entsprechen.[14] Anbieter, die Verbrauchern die Teilnahme zur Entwicklung neuer Produkte erleichtern, können einen Wettbewerbsvorteil gegenüber traditionellen Unternehmen erlangen, die ihren Nutzern keine Befugnisse gewähren.[15] Der Anstieg kollektiver Intelligenz und Open-Source-Innovationen zeigt eine breite Anerkennung des Wissens und der Fähigkeiten der Kunden.[16] Das Internet hat maßgeblich zur Förderung kollaborativer Innovationen beigetragen und bietet einen Weg, um weitreichendes Kundenwissen zu erschließen.[17] Das Aufkeimen sozialer Netzwerke hat Unternehmen dabei geholfen, die Interaktion zwischen Kunden und Unternehmen zu intensivieren.[18] Aal et al. beschreiben den Zweck der Ökosysteme als Grundlage für Innovationen, die auf neuartige und nützliche Integration der Ressourcen (sowohl operand als auch operant) beruhen und demzufolge verschiedene Ressourcenkategorien erforderlich machen, um zu Dienstleistungsinnovationen zu gelangen.[19] Vargo und Lusch definieren ein Service-Ökosystem als ein relativ in sich geschlossenes, sich selbst anpassendes System von Ressourcen, integrierenden Akteuren, die durch eine gemeinsame institutionelle Logik und gegenseitige Wertschöpfung verbunden sind.[20] Vargo et al. konzeptualisieren Service-Innovationen als gemeinsame Erstellung (Co-Creation) oder kollaborative Rekombination von Praktiken, die neuartige Lösungen für neue oder bereits bestehende Probleme bieten.[21]

 

Innovationen sind nach dem Ausmaß des Neuigkeitsgrades zu unterscheiden. Henderson und Clark wählen hierfür vier Kategorien. Während inkrementelle Innovationen geringfügige Veränderungen vorhandener Leistungsgüter bewirken und überwiegend auf individuelle Elemente Bezug nehmen, liefern modulare Innovationen Optimierungen am Grund­element einer Leistung, um neue Komponenten mit verschiedenen bestehenden Aggregaten zu verknüpfen. Architektonische Innovationen bewirken Anpassungen in der Art, dass bestehende Elemente hinsichtlich ihrer Konfiguration anzupassen sind, ohne das Grundkonzept zu verändern. Radikale Innovationen dagegen bewirken große Veränderungen in der Einführung neuer Leistungskomponenten (Produkt, Dienstleistung, Prozess), die einen hohen Neuigkeitsgrad bedeuten.[22] Weitere Differenzierungen nach Innovationsarten sind hinsichtlich Produkt- und Prozessinnovationen sowie marktbezogenen, strukturellen und kulturellen Innovationen möglich.[23] Das et al. greifen auf vier Innovationsarten zurück, die sich in zwei Dichotomien von einerseits nachhaltiger und disruptiver Innovation[24] sowie andererseits inkrementeller und radikaler Innovation[25] klassifizieren lassen. Die Studie von Das et al. bezieht sich auf Innovationen der Finanzdienstleister, die das Potenzial haben, auf den Markt disruptiv einzuwirken oder radikale Veränderungen herbeizuführen. In ihrer Analyse wurden eigens Innovationsprojekte selektiert, die entweder als disruptive oder als radikale Innovation gelten. Unternehmenspraktiken, die nachhaltige und inkrementelle Innovationen ermöglichen, sind bereits weit verbreitet. Inkrementelle Verbesserungen von Produkten und Dienstleistungen zur Befriedigung der Kundenbedürfnisse sind bewährte Wachstumsstrategien der Unternehmen.[26] Neue Marktteilnehmer sind häufig als Hauptinitiatoren für disruptive Innovationen zu identifizieren. Während sich etablierte Unternehmen darauf konzentrieren, mehr Produkte und Dienstleistungen an bestehende Kunden abzusetzen, tendieren neue Marktteilnehmer dazu, übersehene Segmente anzusprechen und sich schnell auf etablierten Märkten auszubreiten.[27] Um nicht Opfer eines disruptiven oder radikalen Wandels zu werden, müssen etablierte Dienstleistungsunternehmen ihre Flexibilität erhöhen, um auf diesem Feld organisatorisch aufgestellt zu sein.[28]

 

Eine wachsende Anzahl neuer globaler Akteure, wie Technologieanbieter oder Start-ups, bieten mittlerweile auch traditionelle Finanzdienstleistungen an. Die Innovationsaktivitäten sind zuletzt merklich angestiegen und lassen auf zahlreiche Barrieren zur weiteren Entwicklung der Finanzdienstleistungen schließen. Besonders bei disruptiven Innovationen scheinen zahlreiche Hindernisse in Finanzdienstleistungsunternehmen vorzuliegen. Durch neue Technologieunternehmen sind Dienstleister dazu gezwungen, neue Technologien einzubinden und wettbewerbsfähige Dienstleistungen anzubieten. Dennoch scheinen sie sich in erster Linie auf die schrittweise Verbesserung ihrer aktuellen Angebote auszurichten.[29]

 

Mithilfe der Co-Creation kann es nach Ansicht des Verfassers dieser Arbeit gelingen, neuartige radikale und disruptive Erfahrungswerte, Produkte, Prozesse und Geschäftsfelder aufzudecken und durch die Kundenbeteiligung für eine hohe Marktakzeptanz zu sorgen. Hierzu sollte allerdings eine grundsätzlich neukonzipierte Formation der Innovationsnetzwerke dahinterstehen, worauf im folgenden Kapitel eingegangen wird.

 

Formation der Innovationsnetzwerke

Neue Geschäftsmodelle sind durch die Digitalisierung erforderlich und führen zu neuen Arbeits- und Organisationsformen. Digitale Netzstrukturen erfahren durch disruptive Entwicklungen Anpassungen der Arbeitswelt hinsichtlich ihrer Verfahren, Prozesse und Ressourcen. Dezentrales und vernetztes Arbeiten sowie kollaborative globale Entwicklungen steuern auf Arbeitsmodelle wie der Sharing Economy, Crowdsourcing, Co-Learning und Co-Creation zu.[30] Der Standpunkt des passiven Leistungsanbieters entwickelt sich zunehmend zur aktiv unterstützenden Organisation kundenseitiger Gestaltungsprozesse[31] und führt zur erhöhten Kreativität im Innovationsbereich.[32]

 

Plattform-Geschäftsmodelle können als offene Geschäftsmodelle mit unterschiedlichem Grad an Offenheit auf unterschiedlichen Ebenen nach der Nutzerebene, der Infrastrukturebene sowie der Anbieterebene organisiert werden.[33] Die Offenheit auf diesen Ebenen ermöglicht es Plattformunternehmen, verschiedene Gruppen von Akteuren (z. B. andere Unternehmen, Kunden, Entwickler, Investoren)[34] über eine hochanpassungsfähige und durchlässige Infrastruktur miteinander zu verbinden, die die Koordination von Informations- und Wissensflüssen im gesamten Netzwerk der verbundenen Akteure ermöglicht.[35] Die Gestaltungsverfahren zur Kundenbeteiligung in Innovationsprozessen lassen sich gemäß Ihl und Piller in drei Aspekte klassifizieren. Neben der Bestimmung der Freiheitsgrade der Innovationsaufgaben (kleine definierte vs. offen kreative) sind die Beziehungsebenen (dyadisch vs. netzwerkbasiert) sowie die Innovationsphasen (Ideengenerierung, Konzeptentwicklung, Produktentwicklung, Markttests) abzuwägen.[36] Eisenmann et al. beschreiben vier Plattformarten, die in nachfrageseitige Benutzer (die als Endverbraucher angesehen werden), angebotsseitige Nutzer (die den nachfrageseitigen Nutzern ergänzende Produkte oder Dienstleistungen anbieten), Plattformanbieter (die der Hauptansprechpartner für die Benutzer sind) und Plattformsponsoren (die die Eigentumsrechte besitzen und die Entwicklung der Plattform steuern) zu differenzieren sind.[37] Ondrus et al. fügen noch eine technologische Plattformebene hinzu, um auf die technischen Bedingungen der Operationalität und Kompatibilität einer Plattform (in Verbindung mit anderen Plattformen und verwandten Technologien) hinzuweisen.[38] Des Weiteren unterscheidet Chesbrough drei Arten der Plattform-Geschäftsmodelle, die sich nach Integrator-, Produktplattformen und zweiseitigen Plattformen klassifizieren. Für jedes Modell übernimmt der Anbieter eine einzigartige Position im Wertschöpfungsnetzwerk ein, das eine Verbindung zu Schöpfern und Verbrauchern herstellt.[39] Eine ähnliche Gliederung nehmen auch Gawer und Cusumano vor, die nach internen (Unternehmen oder Produkt), externen (extern organisierte Netzwerke)[40] und multilateralen Plattformen (mehrere Netzwerke) differenzieren.[41]

 

Die geschilderten Formationskonstrukte weisen grundsätzlich eine offene Architektur in ihren Zugängen mit externen Akteuren auf. Diesbezüglich wird im nächsten Kapitel der Open-Innovation-Ansatz für die Kundenbeteiligung im Sinne des Co-Creation-Ansatzes näher erläutert.

 

Open-Innovation-Ansatz

Für das Überleben und das Wachstum der Organisationen erfordern Ökosysteme eine laufende Anpassungsfähigkeit und Agilität.[42] Untersuchungen zeigen nach Aussagen von Perks et al., dass fortgeschrittene Innovationstätigkeiten aus den Netzwerken wesentliche Änderungen der Innovationsansätze führender Unternehmen erfordern, die einen Co-Creation-Ansatz verfolgen. Diese Firmen sind angehalten, kreative Praktiken ihrer Netzwerkakteure zu fördern. Dazu müssen neue Wege gefunden werden, um unabhängige Netzwerk- und Innovationsbasierte Aktivitäten zu unterstützen. Die Fallstudie beschreibt, wie durch die Bereitstellung von Ressourcen (z. B. Tools, Systeme und Fähigkeiten) Vorsprünge erzielt werden und sich die Netzwerkakteure spezifisch darauf ausrichten.[43] Ferner wird betont, dass Manager bei radikalen Co-Creation-Service-Innovationen interaktive Prozesse entwickeln sollten, die das innovative Verhalten ihrer Netzwerkakteure widerspiegeln. Erhöhte Aufmerksamkeit sollte zur Entwicklung fortgeschrittener Kommunikationsfähigkeiten zum Tragen kommen, um den Zugang zu impliziten Innovationen zu ermöglichen, die ein wesentlicher Bestandteil der Co-Creation-Prozesse sind.[44]

 

Hierzu eignen sich Open-Innovation-Verfahren, die zu einem Paradigmenwechsel der Innovationsprozesse tendieren. Chesbrough veröffentlichte 2003 erstmals den Begriff „Open Innovation“[45] und distanzierte sich von Innovationsverfahren, die ausschließlich im innerbetrieblichen Wissensaustausch erfolgen. Durch die Verknüpfung von externem und internem Wissen unter Etablierung plattformbasierter Systeme sei es möglich, bessere Innovationsergebnisse zu erzielen.[46] Zwischenzeitlich haben die Ausführungen von Chesbrough in der Wissenschaft und der praktizierenden Wirtschaft eine breite Akzeptanz gefunden.[47] Die Unterscheidung zwischen Outside-in- (inbound) und Inside-out- (outbound) Ausrichtungen bietet eine fundierte Ausgangsbasis.[48] Hohe Aufmerksamkeit erhält die Outside-in-Methode, in der Unternehmensprozesse mithilfe externen Beiträge und Akteure gestaltet werden. Daneben verfolgt die Inside-out-Methode ungenutzte, innerbetriebliche Innovationskapazitäten, um sie in der Folge an externe Geschäftsbereiche und Nutzer weiterzuvermitteln.[49] Formen und Aktivitäten der Co-Creation stehen in vielfältigen Publikationen im Zusammenhang mit Innovationspotenzialen.[50] Die weitreichende Kundeninnovationsforschung geht vorwiegend auf Hippel zurück.[51] Als Konzept kooperativer Prozesse, in Form interaktiver Wertschöpfung, kann das Modell von Reichwald und Piller genannt werden. Die Aufgabenstellungen können von Einzelnen oder einem Netzwerk aus Usern, Kunden oder sonstigen Akteuren eingebracht werden.[52] Netzwerk-Communities in Form von virtuellen Gemeinschaften stellen eine effiziente Möglichkeit für Open-Innovation-Verfahren dar und lassen sich in vielen Branchen beobachten.[53] Infolgedessen erhält die System- und Netzwerktheorie erhöhte Aufmerksamkeit im Dienstleistungssegment.[54] Zur technischen Unterstützung lassen sich so genannte internetbasierte Toolkits mit Trial-and-Error-Verfahren durch eigenständige Anwendungen der Akteure umsetzen.[55] Bisherige Studien belegen unterschiedliche Kreativitätsergebnisse der User, die aus ihren individuellen Erwartungen, Kenntnissen sowie kognitiven Fähigkeiten resultieren.[56]

 

Für eine interaktive Kundenbeteiligung sollten die Aufgabenstellungen möglichst in Teilbereiche zerlegt (Prinzip der Granularität) werden, was zur Reduzierung der Komplexität führt und dadurch eine höhere Akzeptanz erzielt. Zusätzlich sollten die potenziellen Akteure von den Aufgabenstellungen überzeugt werden. Hierzu liegen vielfältige intrinsische Motive der Beteiligten vor, um eine Zusammenarbeit zu ermöglichen.[57] Bspw. wird das hohe Interesse der externen Akteure an Innovationen durch extern eingeführte Innovationen am Markt ersichtlich, die erst im Nachgang von Finanzdienstleistern im Angebotsspektrum übernommen wurden.[58] Umfrageergebnisse der Finanzinstitute zeigen die grundsätzliche Neigung, sich nach internen Beziehungsquellen hinsichtlich der Wissensressourcen auszurichten. Wogegen externe Wissensquellen begrenzt wahrgenommen werden.[59] Die meisten Kreditinstitute verfolgen eine traditionelle, funktionale Organisationsstruktur.[60] Die zentralisierten Forschungs- und Entwicklungsabteilungen verlieren aufgrund kürzerer Produktlebenszyklen und des erhöhten Wettbewerbsdrucks jedoch zunehmend an Einfluss.[61] Neue Verfahren der Leistungserstellungsprozesse sind nach offenen Prinzipien der Organisationssysteme auszurichten.[62] Hierzu bietet sich eine Verknüpfung des Innovationsmanagements mit dem Co-Creation-Ansatz an.[63] Forschungsarbeiten belegen hierzu die enge Verknüpfung des S-D-Logik-Ansatzes mit Open-Innovation-Verfahren.[64] Das Involvement der Kunden erhöht die Innovationsbereitschaft und kann zu inkrementellen und auch radikalen Innovationen beitragen.[65] Das gesteigerte Werteempfinden bei mitgestalteten Leistungen durch die Kunden führt zu erhöhtem Erfolg bei der Einführung neuer Produkte.[66] Die Markenbeziehung führt zu weiteren positiven Innovationsbeiträgen der Konsumenten.[67]

 

Im Gegensatz zur „Closed Innovation“ verfolgt das Verfahren der „Open Innovation“ die Suche nach Lead-User-Innovationen, die außerhalb des Anbieters gegeben sind, um sie in das Unternehmen zu integrieren.[68] Grundsätzlich richtet sich der Open-Innovation-Ansatz auf sämtliche externe Akteure, der durch Interaktionen (zwischen Umwelt und Anbieter) erweitert wird und infolgedessen unter Einbeziehung externer Ressourcen für den Einsatz in Innovationsverfahren und im Wissensmanagement angebracht erscheint.[69] Netzwerk-Communities in Form von virtuellen Gemeinschaften sind eine effiziente Möglichkeit hierfür und lassen sich in vielen Branchen beobachten.[70] Kunden nehmen, neben der Rolle des Nachfragers, zusehends die Funktion des Ko-Produzenten ein und partizipieren am Leistungserstellungsprozess.[71] Unternehmen sollten daher Plattformen bieten, um Kunden im Austausch ihrer Erfahrungen und Interaktionen zu fördern.[72]

 

Vargo und Lusch stimmen darin überein, dass Netzwerke aus komplexen und dynamischen Systemen und diverser Akteure bestehen. Sie weisen darauf hin, dass Unternehmen in dynamischen, verändernden Umgebungen lernen und Werte der Co-Creation in sogenannten Service-Ökosystemen Einzug erhalten.[73]

 

Für die vorliegende Arbeit wird eine offene Partizipation befürwortet. Hinsichtlich des Führungsgrades der Open-Innovation-Plattformen wird eine wechselseitige Führung zwischen hierarchischer und dezentraler Führung angestrebt, die nach Aufgabenstellung und Wertschöpfungsverlauf variieren kann. Diesbezüglich wird dem Ansatz der Open Innovation eine hohe Relevanz zugesprochen. 

 

Co-Creation im Gestaltungsbereich Innovation

Die Eigenschaften der Dienstleistungen implizieren den externen Faktor und deuten daher die inhärente Eigenschaft der Co-Creation an. Diese beziehen sich überwiegend direkt auf Dienstleistungen während des Kaufvorgangs. Vor- oder nachgelagerte Beteiligungsaktivitäten werden dagegen tendenziell nachrangig behandelt.[74] Hierzu ist bspw. die Ideengenerierung durchaus in Erwägung zu ziehen.[75] Vargo et al. beschreiben Innovationen als die Kombination kollaborativer Entwicklung von Praxishandlungen und nützlichem Wissen, die zur Problemlösung im Kontext der Service-Ökosysteme beitragen.[76] Die Kundenbeteiligung im Sinne der Co-Creation beinhaltet vielseitige Konzepte wie Co-Konstruktion, Co-Produktion, Co-Design, Open Innovation, kollaborative Innovation oder Crowdsourcing.[77]

Eine hohe Diversität des Wissens und der Fähigkeiten führt zu multiplem Ideenreichtum sowie zu innovativen Lösungen.[78] Diese werden besonders im Wissensrepertoire der Beteiligten in Form von sozialen Interaktionen sowie erfahrungsbasiertem Lernen beobachtet.[79] Die soziale Dimension wird seit Langem als vorteilhaft für die Ideenfindung[80] gesehen und auch in aktuellen Studien als wesentlicher Beitrag anerkannt.[81] Ergebnisse bei Ideenwettbewerben zeigen, dass Teilnehmer nach sozialem Feedback suchen, was an andere Gruppenmitglieder, Wettbewerber, Meinungsfremde oder spezifische Berater gerichtet ist.[82]

 

Innovationsbezogenes Wissen führt zu einer Neukonfiguration bestehender Kompetenzen im Unternehmen, um neue Serviceangebote bereitzustellen und für Kunden Mehrwerte zu bieten.[83] Hierzu beteiligen sich die Kunden aktiv, um an wissensbasierten Lösungen mitzuwirken. Unternehmen benötigen stets den Wissensanteil seitens der Kunden, um erfolgreich zu sein. Hierzu sind Partnerschaften erforderlich, die in einer emergenten, multiplen und kollaborativen Weise in die Beziehungen einwirken.[84] Zur Konkretisierung der operanten Wissensressourcen eignet sich die Klassifizierung in Bedürfnis- und Lösungsinformationen.[85]

 

Durch Zurückhaltung bei völlig neuen Produktinnovationen der Finanzdienstleistungen ist eine langfristige Wettbewerbsstrategie kaum zu bewältigen.[86] Leicht angepasste Produkte sind weniger attraktiv für Kunden, da sie sich kaum von Wettbewerbern unterscheiden.[87] Inkrementelle Innovationen sind jedoch mit geringem Aufwand herstellbar und können schneller in den Markt eingeführt werden, sie werden daher als bevorzugtes Verfahren der Anbieter eingesetzt.[88] Daneben bieten radikal innovative Produkte und Dienstleistungen positive Auswirkungen auf nichtfinanzielle Leistungsindikatoren (Image, Loyalität, Kundengewinnung). Dies deutet darauf hin, dass radikale Innovationen im Dienstleistungssektor geeignet sind, um langfristige Ziele der Anbieter zu erfüllen. Es wird demzufolge ein ausgewogenes Portfolio an Innovationen empfohlen.[89]

 

Studien von Avlonitis et al. weisen bspw. auf die immateriellen Eigenschaften vieler Finanzprodukte sowie das Fehlen eines geeigneten Patentierungssystems für innovative Produkte hin, was die Hauptursache für schnelle und einfache Nachahmungen neuer Finanzlösungen darstellt. Dies hat zu einer Zunahme von „me-too“-Produkten geführt, die in der Regel auf die Einführung eines innovativen Originalprodukts folgen, wobei der relative Wettbewerbsvorteil langfristig nicht aufrechterhalten werden kann.[90] Zudem reagieren viele Finanzdienstleister hauptsächlich nur auf die strategischen Aktivitäten ihrer Wettbewerber und greifen unzureichend die Bedürfnisse ihrer Kunden auf. Anscheinend liegt der Fokus der Markteinführung lediglich auf dem Ziel, der Konkurrenz entgegenzutreten, was somit jegliche Förderung der Forschungsaktivitäten für innovative Produkte, die den unterschiedlichen Kundenanforderungen gerecht werden, verhindert. Diese basieren auf Erkenntnissen der Finanzdienstleister, für die eine Entwicklung radikaler Produkte zeitaufwendig ist, intensive Ressourcen bindet und deutlich im Kontrast zu kurzfristigen Ergebniszielen der Aktionäre und Analysten steht.[91]

 

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit wird daher eine Forcierung disruptiv-radikaler (Kapitel 2.6.1) Innovationen vorgeschlagen, die sich gemäß Das et al. auf einen aufstrebenden Markt ausrichten und sukzessiv neue Märkte bilden, um weitere Mehrwerte für Kunden zu bieten und letztendlich einen bestehenden Markt einzuholen (disruptive Innovationen).[92] Darüber hinaus stützen sich radikale Innovationen im Wesentlichen auf neue Technologien und führen zu signifikanten Veränderungen in organisatorischen Abläufen sowie im gesamten Servicesystem. Sie haben das Potenzial, Marktstrukturen zu verändern, Verhaltensänderungen bei Kunden wie auch bei Unternehmen auszulösen[93] und zwischenbetriebliche Kooperationen in Form von Netzwerken einzugehen.[94]

 

In einer von Mahr et al. durchgeführten Umfrage mit unternehmerischen Innovationsprojekten unter Co-Creation-Aktivitäten wurden 126 Datenbögen ausgewertet. Die befragten Unternehmen stammen aus unterschiedlichen Branchen, wie der Industrieproduktion, Großhandel, Einzelhandel sowie finanz- und technologieorientierte Dienstleistungen.[95] Die Studie basiert auf der Innovations- und Marketingtheorie. Die Konzeptualisierung der Kundenbeteiligung in Wissensressourcen ist eng an der S-D-Logik ausgelegt.[96] Dies wird durch die Integration der Kunden in Form von Wissensressourcen außerhalb des Einflussbereichs der Unternehmen vollzogen. Mit einem strukturellen Ansatz wird das von Kunden geteilte Wissen unter den Kernfaktoren Relevanz, Neuheitsgrad und Kosten identifiziert. Die empirischen Ergebnisse zeigen auf, dass Kunden in der gemeinsamen Vermittlung von relevantem Wissen positive Reaktionen hinsichtlich der Interaktionen oder des Feedbacks zu Prototypen hervorrufen.[97] Um aus den Kundenbeziehungen und innovativen Kundenfähigkeiten zu profitieren, wird ein weiter Kreis von Kundenzielgruppen empfohlen, die unterschiedliche Kundeneigenschaften berücksichtigen. Gleichzeitig empfiehlt sich eine gezielte Rotation der beteiligten Kunden.[98]

 

Lee et al. betonen, dass zur Zusammenarbeit zwischen externen und internen Akteuren zahlreiche Formen, wie kollaborative Communities, soziale Netzwerke, Web 2.0-Technologie etc., zur Verfügung stehen. Das Hauptmerkmal der Zusammenarbeit für die gemeinsame Kreation ist ein gemeinsamer Zweck (Gewinn, Teilnahmeerfahrung, Anerkennung ohne finanzielle Belohnungen oder Freude). Besonders effektiv für die Wertschöpfung stellen sich Innovationen in neue Produkte, Dienstleistungen, Unternehmen, Prozesse und Geschäftsmodelle dar.[99] Wie Lee et al. weiter ausführen, arbeiten Unternehmen in einem gemeinsamen Wertschöpfungsprozess insbesondere mit Kunden zusammen. Das Kernprinzip der Co-Creation besteht darin, Menschen dazu zu bewegen, gemeinsam wertvolle Erfahrungen zu machen und gleichzeitig die Netzwerkökonomie zu verbessern. Hierzu werden vier Prinzipien für die gemeinsame Kreation vorgeschlagen: Erfahrungskontext, Interaktionskontext, Engagement-Plattform und Netzwerkbeziehungen.[100] Der gemeinsame Erzeugungsprozess (Co-Creation) ist besonders relevant für die Wertschöpfung mit Kunden. Kunden und Kundengemeinschaften arbeiten aktiv mit Unternehmen zusammen, um Werte für sich selbst und andere Beteiligte zu erzeugen.[101]

 

Die Ausrichtung auf den Kundennutzen forciert dabei bessere Produkt- und Servicequalitäten für die mitwirkenden Verbraucher und steigert die Effizienz der Wertschöpfungskette.[102] Die interaktive Kundenbeteiligung am Ideen- und Wissenstransfer erfordert eine angemessene Qualifizierung sowie die Berücksichtigung der Motivationsfaktoren.[103] Ein offenes Innovationsmodell versteht sich gemäß Reichwald und Piller als Netzwerk freiwilliger Interaktionshandlungen, die im Kontext der unternehmerischen Produktion nach dem Prinzip der Co-Creation materielle und immaterielle Ressourcen einbringen.[104]

 

Kunden in Innovationsprozesse zu involvieren, stellt sich nach Aussagen von Picot et al. als wichtige Maßnahme heraus, um die Kundenbedürfnisse möglichst frühzeitig in die Leistungserstellung einzubeziehen. Marktumfragen werden von Unternehmen häufig genutzt, um neue Erkenntnisse für die zukünftige Bedarfsermittlung abzuleiten. Allerdings besteht für Kunden in ihrer realen Umgebung kaum ein Bezugsrahmen, um auf neue Aspekte außerhalb ihrer eigenen Erfahrungswelt einzugehen. Insofern sind inkrementelle Innovationen oder Markttestergebnisse aus den Befragungen geeignet. Für radikale Innovationen kann der Lead-User-Ansatz weitreichende Erkenntnisse hervorbringen.[105] Hierzu ist nach dem Verfahren der „Open Innovation“ die Suche nach externen Lead-User-Innovationen in das Unternehmen zu integrieren. Alternativ ist die Suche nach Lead-User-Eigenschaften und deren Zusammenführung in einem Innovationsworkshop möglich, um unternehmensseitige Potenziale zu optimieren.[106] Hierfür stehen Ideenwettbewerbe zur Verfügung, die organisatorisch nach Kriterien der Veranstalterrolle, Kernthemen, Breite und Zielgruppe der Aufgabenstellung sowie Plattformen für die Ideenübertragung zu organisieren sind.[107] Die Quelle der Inspirationen für die Innovationen resultiert nicht aus dem Anbieterkreis, sondern aus dem Zusammenwirken externer Akteure. Durch selbst antreibende Reaktionen aus der Zusammenarbeit mit vielfältigem Wissen, Stärken und Erfahrungen der Beteiligten entstehen weitere dynamische Effekte.[108]

 

Insbesondere bei Innovationen in Finanzinstituten sind neben internen Wissensquellen (Mitarbeiter, Forschung, Entwicklung, Management) die externen Wissensquellen (Kunden, Partner, Unternehmensberater, Massenmedien) von hoher Relevanz.[109] Aus einer aktuellen Studie von Spletz und Kempf geht eine lebhafte Aktivität der digitalen Finanzinnovationen hervor. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich jedoch nur ein geringes Maß an radikalen Innovationen, um als Alleinstellungsmerkmal fortgeführt zu werden. Kundenprobleme werden kaum gelöst und die Potenziale zur Erschließung neuer Märkte nicht genutzt. Dieser Zustand ist gemäß Auswertung der Studie den meisten Kreditinstituten bewusst.[110] Wenn sich Kreditinstitute als Innovatoren behaupten wollen, scheint es unumgänglich, eine abweichende Strategie im Vergleich zu den Global Playern im Bankensegment zu verfolgen. Hierfür eignen sich Konzepte, die den Kundenfokus als zentrierten lokalen Ansatz anstreben und die Befriedigung regional verankerter Bedürfnisse vor Ort angehen.[111] Der kollaborative Wesenszug der Open Innovation fordert Kreditinstituten eine epochale kulturelle Anpassung zur Offenheit ab.[112] Für eine seit Jahrzehnten stabile und traditionelle Branche stellt dies eine außergewöhnliche organisatorische und kulturelle Herausforderung dar.[113] Einige Wissenschaftler argumentieren, dass Kundenbeiträge für Finanzinnovationen hilfreich sein können.[114] Daneben argumentieren weitere Wissenschaftler, dass Bankkunden möglicherweise Probleme haben, ihre Bedürfnisse zu artikulieren[115] oder nicht an neuen Finanzangeboten interessiert sind.[116] Dennoch zeigen zahlreiche Praxisbeispiele von Kreditinstituten, wie Open-Innovation-Verfahren gemeinsam mit Kunden zum Erfolg führen.[117]

 

Forschungsergebnisse legen nahe, dass Kunden an mehreren Phasen des Innovationsprozesses bei Finanzdienstleistungen beteiligt sein können. Alam und Perry stellen fest, dass Kundenbeiträge in allen Phasen des neuen Serviceentwicklungsprozesses für Finanzdienstleistungen offensichtlich sind, die kundenseitig beliebtesten jedoch in der Ideengenerierung, im Produktdesign sowie im Produkt- und Pilottest auszumachen sind.[118] Niebudek erhob diesbezüglich in seiner Dissertation aus Expertenbefragungen weitreichende Erkenntnisse im Privatkundengeschäft diverser Banken und Sparkassen, um die Co-Creation hinsichtlich der Innovationsverfahren zu bewerten. Die Ergebnisse bekräftigen die Co-Creation in sämtlichen Innovationsphasen für Anbieter und Kunden als vorteilhaft.[119]

 

Aufgrund offener Innovationsprozesse sind breit angelegte radikale und disruptive Ideen zu erwarten, die auf neue Geschäftsquellen schließen lassen und über eine reine Produktentwicklung deutlich hinausgehen. Hierzu sollte im Rahmen des Co-Creation-Ansatzes die Outside-in-Perspektive verfolgt werden. Im folgenden Kapitel wird der Frage, in welchen relevanten Feldern sich Co-Creation-Maßnahmen mithilfe der Kundenbeteiligung in Kreditinstituten durchführen lassen, nachgegangen.

 

 

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